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Patienten und Angehörige sitzen auf der Terasse im Hospiz St. Marien, Köln-Nippes

"Dem Sterbenden nahe sein"

Hospiz: Hilfe im Sterben

Silke Kirchmann leitet das Franziskus-Hospiz Hochdahl. Die Krankenschwester für Palliative Care und pädiatrische Palliative Care ist unter anderem Trainerin für Palliativmedizin und Palliatve Care. Im Interview erzählt Silke Kirchmann, was gute Hilfe im Sterben auszeichnet.

 

Silke Kirchmann

Welche Aufgaben hat ein Sterbebegleiter?

Silke Kirchmann: Zunächst geben wir den Angehörigen wieder Raum, Tochter, Mutter oder Ehemann zu sein und nicht in die Rolle des Pflegers zu geraten. Im ambulanten Hospizbereich, also zu Hause, wo die meisten Menschen versterben, beraten wir die Angehörigen beim Organisieren der Pflege, damit sie auch zu Hause soweit abgesichert sind, um die Versorgung des Sterbenden überhaupt gewährleisten zu können. Das fängt an bei der Pflegestufenbeantragung bis hin zur Beratung im Prozess der Beerdigung. Dazwischen ist vor allem viel psychosoziale Begleitung gefordert.

Wie unterstützen Sie die Angehörigen emotional?

Silke Kirchmann: Oft sprechen wir mit den Angehörigen über ihre Ängste, wenn sie befürchten, dass sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtert. Sterbebegleitung dauert ja oft mehrere Wochen und dabei ist es für die Angehörigen vor allem wichtig, dass man ihnen die Angst und Unsicherheit beim Pflegen der Sterbenden nimmt und sagt: Du machst das alles richtig und gut. Wir stehen ihnen als Feedback-Partner zur Verfügung und reflektieren ihren Umgang mit den Sterbenden. Und das mit der größtmöglichen Wertschätzung. Wir schaffen auch Entlastung, indem wir den Angehörigen sagen: Damit du stabil bleibst, können wir auch ehrenamtliche Hospizhelfer einsetzen, damit du in dieser Zeit Dinge tun kannst für dich. Da kann der Einkaufsbummel in der Stadt der totale Luxus sein. Einmal hatten wir einen älteren Herrn, der seine sterbende Frau begleitet hat. Freitags ging er immer zum Skat-Abend mit seinen Freunden. Das war für ihn eine Ruheinsel zum Kraftschöpfen.

Wie gehen Sie mit den Sterbenden um?

Silke Kirchmann: Die Zeit des Sterbens ist ein Prozess, der oft mehrere Wochen dauert. In dieser Zeit bauen wir ein Vertrauensverhältnis zu den Sterbenden auf. Oft sprechen die Sterbenden mit Außenstehenden über schwierige Themen eher als mit ihren eigenen Angehörigen. Etwa über ihre Angst vor dem Sterben. Das kann ich oft meinem Mann oder meiner Frau gar nicht sagen, weil die selber so angstbesetzt sind. Bei den Helfern weiß der Sterbende genau: Die sind emotional nicht so stark involviert. Manchmal äußern die Menschen auch den Wunsch, gar nicht mehr zu leben. Vielleicht auch, weil sie nicht zu einer weiteren Belastung werden möchten. Umgekehrt sorgen sich auch die Sterbenden oft um ihre Angehörigen, haben Angst, dass sie den Ehemann oder die Ehefrau alleine zurücklassen. Als Haupt- und Ehrenamtlicher kann ich dann sagen: Ja, das verstehe ich. Oder: Wie fühlt sich das an? Was können wir tun für deinen Mann, wenn du verstorben bist? Es sind ganz andere Gespräche möglich zwischen Sterbebegleitern und Sterbenden. Und dadurch finden auch wieder andere Gespräche statt zwischen Sterbenden und ihren Angehörigen.

Wenn ein Sterbender ihnen anvertraut, dass er keinen Lebensmut mehr hat – sagen Sie das den Angehörigen?

Silke Kirchmann: Nein, das ist streng vertraulich. Das ist absolutes Gesetz der Hospizdienste, dass wir mit diesen Informationen, die ja so was von puristisch sind, vertraulich umgehen. Es gibt ja kaum eine Lebensphase, die so existenziell ist wie die letzte. Der Sterbende hat da nicht mehr viel zu verlieren und sagt vielleicht Dinge, die er im gesunden Zustand nicht sagen würde. Wir von den Hospizdiensten sichern da hundertprozentige Schweigepflicht und auch Solidarität zu. Wir nehmen den Sterbenden an in seinen Wünschen, auch wenn sie für mich als Sterbebegleiterin bisweilen bedrohlich oder auch irritierend wirken mögen. Aber das ist dann meine Vorstellung von Leben, Liebe und Sterben. Dennoch darf der Sterbende alles bei mir loswerden und sich meiner sicher sein. Der Sterbende ist der Dirigent, er gibt den Takt vor. Das Versorgungsteam ist das Orchester. Wenn er den Wunsch äußert, gewisse Dinge bei den Angehörigen anzusprechen, die er sich selbst nicht traut, dann tun wir das natürlich. Dann moderieren wir auch mal zwischen ihm und seinen Angehörigen.

Wie erleben Sie als Begleiterin die Höhen und Tiefen ihres Berufs?

Silke Kirchmann: Sie müssen davon ausgehen, dass die meisten Hospizhelfer über viele Stunden hinweg geschult werden – insgesamt rund 160 Unterrichtsstunden, das ist schon eine Menge. Haupt- und Ehrenamtliche Mitarbeiter arbeiten eng zusammen und sprechen auch an, wenn einer mal an einer Stelle nicht weiterkommt. Wir wissen, dass es Höhen und Tiefen geben kann und stellen uns von vorn herein darauf ein. Da kann es passieren, dass die Tochter eines Sterbenden schwanger wird und die Freude darüber an einem Tag groß ist. Am nächsten Tag aber kann die Freude schon in Trauer umgeschlagen sein, wenn der Sterbende daran denkt, das Kind vielleicht nicht mehr kennenlernen zu können. Das schwerste für unsere Mitarbeiter ist das Aushalten von den unterschiedlichsten Emotionen. Der Andere darf aber genau so sein, wie er ist. Er kann rumschreien, aggressiv oder depressiv werden, das ist alles in Ordnung – aber ich bleibe konstant dabei und das schafft Vertrauen und Sicherheit.

Wie kann man lernen, das auszuhalten?

Silke Kirchmann: Das kann man nicht lernen, das ist eher eine Frage der Haltung. Man kann mit dem Sterbenden so sprechen, dass man ihm vermittelt: Ich möchte mit dir ins Gespräch gehen, ich möchte dir zuhören, ich habe Freude daran, mit dir hier zu sitzen. In christlichen Worten versuchen wir, dem Sterbenden zu vermitteln: Du bist von Gott so gewollt, wie du bist und genau so nehme ich dich an – ohne die Absicht, dich zu verändern. Diese Haltung ist schon Übungssache, etwas, das wir im Laufe unseres Lebens lernen können.